21.10.2025

Grauzonen im Praxisalltag: Teil 3 - Wo Medizinprodukte an ihre Grenzen stoßen – und wie man dort sicher handelt

Teil 3: Intended Use im Blindflug – was passiert, wenn Medizinprodukte zweckentfremdet eingesetzt werden

Wer im Klinik- oder Praxisalltag arbeitet, kennt die Situation: Ein Patient liegt bereits vorbereitet, das benötigte Produkt ist nicht sofort verfügbar – und schon entsteht der Gedanke: „Das müsste doch auch mit diesem Instrument gehen.“ Solche Improvisationen sind menschlich, nachvollziehbar und im hektischen Tagesgeschäft fast unvermeidlich. Doch sobald ein Medizinprodukt außerhalb seines vom Hersteller festgelegten Einsatzbereichs verwendet wird, spricht man von Off Label Use. Und genau hier beginnt die Gratwanderung zwischen pragmatischer Lösung und erheblichem Risiko.

Was steckt hinter dem Intended Use?

Der „Intended Use“ ist nicht nur ein juristischer Passus, sondern der definierte Rahmen, in dem ein Medizinprodukt geprüft, getestet und zugelassen wurde. Dazu zählen Indikation, Patientengruppe, Anwendungsort und auch die zulässige Dauer des Einsatzes. Der Hersteller übernimmt Verantwortung und Haftung ausschließlich innerhalb dieses Rahmens. Wird ein Produkt in einem völlig anderen Szenario eingesetzt, verliert diese Sicherheit sofort ihre Gültigkeit.

Ein Ultraschallkopf, der für oberflächliche Untersuchungen konzipiert ist, mag technisch auch in einem intrakorporalen Setting einsetzbar wirken – geprüft und freigegeben wurde er dafür jedoch nie. Der Unterschied klingt formal, ist in der Praxis aber entscheidend für Patientensicherheit und Rechtssicherheit.

Typische Situationen aus der Praxis

Off Label Use zeigt sich selten spektakulär, sondern meist in kleinen Schritten. Ein Katheter, eigentlich für periphere Gefäße gedacht, wird kurzerhand zentralvenös platziert. Eine Sonde, die für Diagnostik ausgelegt ist, wird in einer interventionellen Situation eingesetzt. Oder ein Produkt, das laut Hersteller nur für wenige Stunden im Körper verbleiben soll, bleibt tagelang liegen.

Diese Improvisationen entstehen selten aus Nachlässigkeit, sondern aus dem nachvollziehbaren Wunsch, Abläufe nicht zu unterbrechen. Doch genau dieser Pragmatismus kann am Ende schwerwiegende Folgen haben.

Wo liegt die Gefahr?

Sobald ein Produkt zweckentfremdet genutzt wird, verschiebt sich die Verantwortung: Der Hersteller ist raus, die Haftung liegt bei Anwender und Einrichtung. Validierte Prozesse sind nicht mehr gültig, behördliche Prüfer stufen die Nutzung als schwerwiegende Abweichung ein, und rechtlich übernimmt die Einrichtung im Grunde die Rolle eines Herstellers – mit allen Pflichten und Konsequenzen.

Noch schwerer wiegt die klinische Seite: Ein Katheter, der für Kurzzeitanwendung gedacht ist, kann bei längerem Verbleib Materialschäden entwickeln. Eine Sonde, die nicht für den intrakorporalen Einsatz desinfizierbar ist, bringt ein hohes Infektionsrisiko mit sich. Der scheinbar kleine Schritt der Zweckentfremdung schafft eine Unsicherheit, die niemand abfangen kann.

Und was passiert, wenn es schiefgeht?

Die Folgen sind keineswegs theoretisch. Das BfArM dokumentierte Fälle, in denen Ultraschallsonden für Anwendungen genutzt wurden, für die sie nicht zugelassen waren. In der Praxis führte das zu Defekten am Schallkopf und zu hygienischen Risiken, weil die Desinfektionsprozesse in diesem Setting nicht ausreichten.

Auch aus der Kardiologie sind Fälle bekannt, in denen Katheter in unzulässigen Einsatzbereichen verwendet wurden. Das Ergebnis reichte von Materialversagen über Blutungen bis hin zu Gefäßverletzungen – mit teils gravierenden Folgen für die Patienten. Was im Moment der Entscheidung als praktikable Lösung erscheint, kann sich im Rückblick als Patientengefährdung und als massives juristisches Problem herausstellen.

Fazit

Off Label Use ist kein theoretisches Konstrukt, sondern Teil des gelebten Alltags in vielen Einrichtungen. Gerade deshalb braucht es Sensibilität und klare Regeln. Der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Medizinprodukts mag im hektischen Moment manchmal umständlich erscheinen – er ist jedoch die einzige Garantie für geprüfte Sicherheit, rechtliche Absicherung und letztlich für das Vertrauen der Patienten.

Übersicht: Off Label Use in der Anwendung

Einsatzbereich

Beispiel Off Label Use

Risiko

Ultraschall

Oberflächen-Sonde für transösophageale Untersuchung genutzt

Unzureichende Desinfizierbarkeit, Infektionsgefahr

Katheter

Peripherer Katheter als zentralvenöser Zugang eingesetzt

Materialversagen, Thrombose, Infektionen

Chirurgische Instrumente

Weichteilinstrument im Knochenbereich verwendet

Instabilität, Instrumentenbruch

Bildgebende Verfahren

Sonde für Diagnostik in interventioneller Anwendung genutzt

Fehlfunktionen, unklare Bildqualität, Sicherheitsverlust

Anwendungsdauer

Kurzzeitprodukt über Tage eingesetzt

Materialermüdung, Ablagerungen, Infektionen