Teil 1: Zwischen Routine und Risiko – Off Label Use und ungeplante Wege in der Aufbereitung
Es ist ein ganz normaler Dienstagvormittag in der Praxis. Das Wartezimmer ist voll, die Sprechstunde läuft auf Hochtouren und im Aufbereitungsraum blinkt das Gerät schon zum dritten Mal auf Störung. Jemand schlägt vor, den Zyklus einfach etwas zu verkürzen – „das spart Zeit, und die Sonde ist trotzdem sauber.“ Ein anderer denkt an das günstige Desinfektionsmittel, das im Onlinehandel beworben wird. Und die Ärztin, die ein neues Therapiegerät aus einer internationalen Fachzeitschrift gesehen hat, fragt sich: „Warum nicht gleich ausprobieren?“
Genau in solchen Momenten wird Off Label Use oder die Anwendung nicht freigegebener Aufbereitungsverfahren zur Realität. Es sind keine exotischen Ausnahmefälle, sondern ganz alltägliche Versuchungen – und sie können im Ernstfall schwerwiegende Folgen haben.
Was bedeutet Off Label Use bei Medizinprodukten?
Off Label Use meint den Einsatz eines Produkts außerhalb der vorgesehenen Zweckbestimmung. Das klingt harmlos, ist es aber nicht. Wird ein Gerät in einer Indikation genutzt, für die es nicht vorgesehen ist, mit Zubehör kombiniert, das nicht freigegeben wurde, oder auf einem Markt betrieben, für den es keine CE-Kennzeichnung gibt, bewegt man sich außerhalb des rechtlich abgesicherten Rahmens. Der entscheidende Punkt dabei: Der Hersteller hat für diesen Einsatz keine Sicherheit und Wirksamkeit geprüft. Wer also so handelt, übernimmt automatisch die volle Verantwortung – und das nicht nur organisatorisch, sondern auch haftungsrechtlich.
Aufbereitung außerhalb der Herstellerangaben
Noch praxisnäher wird es bei der Aufbereitung. Flexible Endoskope oder Ultraschallsonden müssen regelmäßig gereinigt und desinfiziert werden. Hinzu kommen Zubehörteile wie Adapter, Schutzhüllen oder Anschlussstücke, die oft als „Nebensache“ betrachtet werden. Verlockend ist es, ein günstigeres Desinfektionsmittel zu verwenden, das aber nicht in der Herstellerfreigabe steht, oder Zykluszeiten im Reinigungsgerät eigenmächtig zu verkürzen, um Zeit zu sparen. In beiden Fällen überschreitet man bewusst die Grenzen der Freigabe. Was im ersten Moment wie eine pragmatische Lösung aussieht, kann sich später als massives Risiko entpuppen – sowohl für die Funktion des Produkts als auch für die Sicherheit der Patienten.
Rechtlich ist das eindeutig: Wer Produkte außerhalb der Herstellerangaben einsetzt, gilt nach MDR und MPDG im schlimmsten Fall selbst als Hersteller. Damit greifen dieselben Pflichten, die normalerweise beim eigentlichen Hersteller liegen – angefangen bei Risikoanalysen über Nachweise bis hin zu Haftungsfragen.
Was das für den Alltag bedeutet
In der täglichen Arbeit heißt das: Wer improvisiert, muss sich darüber im Klaren sein, dass er damit auch alle Konsequenzen übernimmt. Schäden am Produkt lassen sich nicht mehr auf Garantie oder Gewährleistung abwälzen. Kommt es zu Zwischenfällen, ist es schwer nachzuweisen, dass Patienten keinem Risiko ausgesetzt waren. Und auch im Qualitätsmanagement bleibt nichts unbemerkt: Abweichungen von den Herstellerangaben müssen dokumentiert und fachlich begründet sein. Wenn das nicht geschieht, wird spätestens bei einem Audit oder einer behördlichen Begehung unangenehm nachgefragt.
Und was passiert, wenn es schiefgeht?
Ein Beispiel: In einer Praxis werden Ultraschallsonden routinemäßig mit einem nicht freigegebenen Desinfektionsmittel aufbereitet, weil es günstiger ist und schneller trocknet. Anfangs scheint alles problemlos zu laufen. Doch nach einigen Monaten treten Haarrisse im Schallkopf auf, die mit bloßem Auge kaum erkennbar sind. Bei einer Untersuchung dringt Flüssigkeit ein, die Sonde fällt aus – und der Patient erleidet eine Verletzung, die einer Nachbehandlung bedarf.
Jetzt setzt sich eine Kettenreaktion in Gang: Die Sonde muss ausgetauscht werden, die Versicherung prüft die Kostenübernahme und lehnt sie ab, weil kein freigegebenes Verfahren genutzt wurde. Die Aufsichtsbehörde wird eingeschaltet und fordert Nachweise für die Aufbereitung. Bei der internen Revision stellt sich heraus, dass es keinerlei dokumentierte Abweichungen gab. Am Ende haftet die Einrichtung allein – nicht nur finanziell, sondern auch in ihrer Glaubwürdigkeit gegenüber Patienten und Behörden.
Fazit
Off Label Use und die Nutzung nicht freigegebener Aufbereitungsmethoden sind keine theoretischen Randthemen, sondern alltägliche Versuchungen im medizinischen Betrieb. Wer hier bewusst handelt, Alternativen prüft und seine Entscheidungen transparent dokumentiert, schützt nicht nur sich selbst, sondern vor allem auch die Patienten. Und die gute Nachricht: Viele Risiken lassen sich vermeiden, wenn man sich an einfache Grundsätze hält – die Freigaben des Herstellers respektieren, im Zweifel Rücksprache halten und Abweichungen nachvollziehbar dokumentieren. So bleibt man rechtlich auf sicherem Boden und sorgt gleichzeitig dafür, dass die Versorgung nicht nur praktisch, sondern auch verlässlich und sicher ist.
Übersicht: Off Label Use und nicht freigegebene Aufbereitungsmethoden
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Bereich |
Typische Situation |
Mögliche Folgen |
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Off Label Use |
Einsatz eines Geräts außerhalb der Zweckbestimmung, etwa in einer anderen Indikation oder mit nicht zugelassenem Zubehör |
volle Haftung durch Anwender oder Einrichtung, Verlust der Herstellergarantie |
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Aufbereitung |
Nutzung von Desinfektionsmitteln, Verfahren oder Zykluszeiten, die nicht in den Herstellerangaben stehen; auch Zubehörteile wie Adapter oder Schutzhüllen betroffen |
mögliche Produktdefekte, Patientengefährdung, rechtliche Einstufung als „Quasi-Hersteller“ |
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Praxisalltag |
Abkürzungen oder improvisierte Lösungen im laufenden Betrieb |
Beanstandungen bei Audits, Bußgelder durch Behörden, Vertrauensverlust bei Patienten |
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Konkreter Schaden |
Sonde wird mit falschem Desinfektionsmittel aufbereitet, Haarrisse führen zu Ausfall und Patientenschaden |
verweigerte Versicherungsleistungen, persönliche Haftung, straf- und zivilrechtliche Konsequenzen |